Sie tanzen zusammen und teilen volle und leere Räume. Jeder lauscht dem Körper des anderen, erahnt seine Füsse, registriert seine Emotionen, manchmal seine Unruhe, ein andermal seine Überraschung. Beide übermitteln ihre Erlebnisse. Ein geheimer Dialog aus Fragen und Antworten. Manchmal ein Bitten, ein Feilschen, ein Fordern. Dann wieder Reserviertheit, Zurückhaltung, Misstrauen.…
Sie scheinen eins zu sein, Körper und Seele. Aber man sagt, zum Tango braucht es zwei. Zwei reichen jedoch auch nicht aus. Bei diesem feierlichen Akt tanzen Mann und Frau in Begleitung. Sie tanzen mit der Musik, die langsam oder aufgewühlt sein kann. Mit jedem Orchester und seinem einzigartigen Stil, dem Rhythmus oder der Melodie, dem Bandoneon oder der Geige folgend. Mit dem Sänger, der Bruchstücke von Träumen oder Alpträumen zuflüstert. Jeder tanzt auch mit sich selbst, seinem Gefühl, seinem Körper und seinem Gehör, welche die Musik in Bewegung umsetzen…
Beim Tango, wie im wirklichen Leben, kann die Frau die Zeit des Mannes nur insofern kontrollieren, als dass sie ihn bremst; sie kann ihn nie antreiben. Und darin besteht ihre Kunst. Der Mann bewegt sich vorwärts und die Frau leistet Widerstand, wenn auch ohne grosse Überzeugung…
Sie tanzen mit den anderen Paaren im Kreis und bilden einen grossen Chor, der seine eigene Energie vervielfacht. Sie tanzen mit dem Boden, der ihnen die Vibrationen der anderen Tänzer übermittelt, und sie geben ihm Streicheleinheiten für seine Unterstützung zurück. Sie tanzen auch mit den Blicken eines wirklichen oder imaginären Publikums, das sie verteidigt oder bestätigt…
Sonia Abadi
«Der Basar der Umarmungen»